Simon Goddard: Bowie Odyssee 72

Simon Goddard Bowie Odyssee 72 Cover Hannibal Verlag

Anschaulich, freizügig, schonungslos, poetisch und radikal: Simon Goddard lässt David Bowie und das Jahr 1972 lebendig werden

von Sebastian Meißner

Ende 1971 musste David Bowie feststellen, dass sich auch sein letztes Album „Hunky Dory“ mit so tollen Songs wie „Changes“ oder „Life On Mars“ nicht sonderlich gut verkauft hatte. Statt zu resignieren, arbeitete er an der nächsten Idee: Er wurde zu Ziggy Stardust. Einer schillernden Kunstfigur mit feuerroten Haaren, knallbunter Kleidung, androgyner Schminke und High Heels. Auch seine Band The Spiders From Hell trat schillernd auf und sorgte für Verwirrung um ihre sexuelle Orientierung. Ziggy Stardust erschütterte den Rock’n’Roll als bisexueller Starman. Und er schenkte der Musikwelt grandiose Alben und fulminante Live-Shows. Stars wie Prince, Boy George, Harry Styles, Miley Cyrus, Arcade Fire oder St. Vincent sind ohne Bowies Alter Ego nicht denkbar.

Aus Bowie wird Ziggy

Simon Goddard Bowie Odyssee 72 Cover Hannibal Verlag

Die Ziggy-Werdung des David Bowie und ihr Ende ist mehrfach erzählt worden. Faktisch ist alles gründlich in Schrift und Bild dokumentiert. Doch was meist fehlt ist der Kontext, der das Lebensgefühl der damaligen Jugend, ihr brodelndes Verlangen nach Umsturz und Wandel, miteinbezieht. Die Bedeutung von Ziggy Stardust für den Kampf um selbstbestimmte Identität und sexuelle Freiheit ist nur zu verstehen, wenn die gesellschaftlichen Konventionen und das politische Klima mitgezählt werden. Genau dies tut Simon Goddard. Der 1971 geborene britische Musikjournalist hatte zuvor bereits „Bowie Odyssee 70“ und „Bowie Odysee 71“ veröffentlicht, die die künstlerische Reifung Bowies trotz weiterhin verwehrten Durchbruchs erzählen. Hier nun wird aus Bowie Ziggy – und das Ding explodiert.

David Bowie, Iggy Pop und Lou Reed

Goddard hat für dieses Buch gründlichst recherchiert. Er kennt die Orte, Personen, Aussagen und Rahmenbedingungen, die zum Glam Rock-Boom führten. Und er erzählt sie auf eine Weise, die die damalige Zeit lebendig werden lässt. Mit anschaulichen, freizügigem Stil, schonungslos, poetisch und radikal. Goddard reist zurück ins Jahr 1972 und nimmt seine Leser mit. Dort begegnen wir Iggy Pop, Marc Bolan, Lou Reed und Roxy Music. Wir reisen nach Aylesbury, gehen mit auf Tour, hören die kreischenden Massen und die Sirenen der Polizei. Wir spüren den Mut der einen und die Angst der anderen. Alles wird lebendig.

Die Befreiung des Rock’n’Roll

Alles ist unterlegt von den Songs des „Spiders From Mars“-Albums. Musik, die Gesellschaften verändern kann. Gemacht von einer Kunstfigur, die mit jedem absolvierten Konzert mutiger, entschlossener und gefährlicher wurde. Als Bowie am 03. Juli 1973 bei einem Auftritt im Hammersmith Odeon in London das Ende von Ziggy verkündete, waren Fans schockiert und in Trauer. Das Werk aber war längst vollbracht: Der Rock’n’Roll war befreit. Wer all das nicht nur begreifen, sondern vor allem spüren will, sollte dieses Buch lesen. Danach haben Fantasie und Wirklichkeit keine Bedeutung mehr.

Simon Goddard: „Bowie Odyssee 72“, Hannibal Verlag, übersetzt von Andreas Schiffmann, Broschur, 200 Seiten, 978-3-85445-764-0, 20 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)

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